Liebe Leserin, lieber Leser,
ich bin ein Nachtmensch. Schon als Kind hat mich die Nacht fasziniert. Oft bin ich im Dunkeln am Fenster meines Zimmers gestanden, habe die Sterne angeschaut und mich auf den Mond geträumt, der damals gerade vom Menschen erobert worden war.
Der besondere Zauber der Nacht umfängt mich bis heute. Ich mag es, nachts aus der Höhe auf Würzburg zu schauen und die Ruhe zu spüren, die aus der Stadt aufsteigt. Die Nacht verwandelt den Lärm, das geschäftige Treiben und manche Oberflächlichkeit des Tages. Über Zerstörtes, Hässliches und Trauriges legt sie sich wie eine schützende Decke. Anderes wird sinnlicher und intensiver: Geräusche höre ich deutlicher, Details an den Häusern und Kirchen sehe im Lichtkegel der Scheinwerfer klarer, den Duft der Pflanzen rieche ich stärker.
Oftmals ist die Nacht die Zeit für besondere Gottesbegegnungen. Die Bibel erzählt solche Nachtgeschichten: von Jakob, dem Flüchtling, dem Gott den Himmel öffnet, von den Liebenden, die Schutz der Nacht zueinander finden, vom Kind in der Krippe, dem menschgewordenen Gott, von der Nacht in Gethsemane, dem grenzenlosen Leid und der tiefen Verzweiflung. Es sind die Nachtgeschichten, in denen Gott den Menschen besonders nahe kommt. Auch wir können solche Geschichten erzählen: von Nächten des scheinbar endlosen Glücks des Liebe, aber auch von Nächten der tiefsten Verzweiflung, von Schmerz und Traurigkeit, die wir durchwacht und durchlitten haben. Wir können hoffentlich auch erzählen, dass wir gehalten waren. Weil Gott uns gehalten hat.
Heute ab 19 Uhr öffnen die Kirchen der Würzburger Innenstadt ihre Türen zur „Nacht der offenen Kirchen“. Vielfältig ist das Angebot, das bis Mitternacht auch Besucherinnen und Besucher wartet: Es gibt liturgische Feiern und Podiumsdiskussionen, Orgelimprovisation zu einem Stummfilm und Hip Hop in der Jugendkirche. Die Themen sind so bunt, wie sie das Leben: es geht um die Solidarität der Frauen und um das Miteinander der Kirchen, um Liebe und Glauben, um Asyl und Inklusion.
Ich bin ein Nachtmensch. Deshalb freue ich mich darauf, bis Mitternacht durch die Kirchen zu streifen und die nächtlichen Räume auf mich wirken zu lassen, mir Impulse fürs Leben und den Glauben zu holen und zu erleben, wozu das Programm einlädt: „Treffen Sie Gott und die Welt“!
Susanne Wildfeuer
Stellv. Dekanin
Ev. Verantwortliche für die Nacht der offenen Kirchen im Rahmen der Ökumenischen Citypastoral