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Nichtstun als Tugend

Der französische Dichter Saint-Pol-Roux soll während seines Mittagsschlafs ein Schild an die Tür gehängt haben mit der Aufschrift „Poet bei der Arbeit“.

Der französische Dichter Saint-Pol-Roux soll während seines Mittagsschlafs ein Schild an die Tür gehängt haben mit der Aufschrift „Poet bei der Arbeit“. Das erinnert mich an den Bibelvers „Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf“ (Psalm 127). Ein Mittagsschlaf, Tagträume, die Seele baumeln lassen, all das hat in unserer Gesellschaft keinen guten Ruf. Muße wird als Zeitverschwendung betrachtet. Schließlich gibt es meistens etwas Anderes, Sinnvolleres zu tun: Arbeit, die noch zu erledigen ist oder noch besser erledigt werden könnte, Haushalt und Familie, die auf uns warten, Angehörige, die zu umsorgen sind, Freunde, die besucht werden wollen, und in der Freizeit vielleicht noch etwas Kultur, ein Konzert, ein Kinobesuch, ein Ausflug und natürlich Sport für die körperliche Fitness. Diese Liste kann jede und jeder für sich abändern und ergänzen. Für Nichtstun bleibt da keine Zeit.

 

Hirnforscher haben jedoch herausgefunden, dass es bestimmte Hirnbereiche gibt, die bei konzentriertem, zielgerichteten Arbeiten inaktiv sind, während sie beim Nichtstun aktiv werden. Wenn der Mensch sich ausruht oder schläft, kümmern sie sich emsig darum, Netzwerke aus Nervenzellen neu zu organisieren, Gelerntes zu verarbeiten und zu speichern. Der amerikanische Wissenschaftler Marcus Raichle nennt diese Bereiche „Leerlaufnetzwerke“. Sie sind offensichtlich wichtig für das Ich-Bewusstsein der Menschen. Sowohl bei Kindern als auch bei demenzkranken Menschen sind diese Areale noch nicht oder nicht mehr so aktiv. Die Hirnforscher ziehen daraus den Schluss, dass Muße und Schlafen deshalb für die psychische Gesundheit besonders wichtig sind, weil in dieser Zeit das Gehirn die eigene Geschichte und die eigene Identität aufarbeitet. Andauernder Zeit- und Leistungsdruck, berufsbedingter oder auch privater Stress gelten laut Weltgesundheitsorganisation WHO dagegen als „eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts“.

 

In der Antike galt die Muße noch als eine Bürgerpflicht. „Wir sind tätig, damit wir Muße (griech. scholé) haben,“ war die feste Überzeugung des Aristoteles. Arbeit wurde als Nicht-Muße (griech. a-scholía) bezeichnet und erscheint als notwendiges Übel. In der Muße hat der Mensch dagegen die Möglichkeit, sich zu bilden, z.B. durch Philosophieren über die Welt, durch Literatur, Musik oder Sport, die man lustvoll genießen soll. Unser Begriff „Schule“ hängt mit dem griechischen Wort für Muße zusammen. Ob in den modernen Schulen aber Raum und Zeit ist für zweckfreies kreatives Tun ohne Leistungs- und Notendruck, ist fraglich.

 

In unserer modernen Arbeitswelt kommt es gerade zu einer Wiederentdeckung der Muße. Aber die Muße wird nicht als zweckfreies Nichts-Tun erwartet, sondern als kreative Pause der Arbeitnehmer, die dann umso leistungsfähiger und ideenreicher für die Wirtschaft sein sollen. Muße wird hier mit dem Zweck verbunden, noch mehr zu leisten. „Müßig sein, um (mehr) zu arbeiten“ – die alten Griechen hätten wahrscheinlich den Kopf geschüttelt über solche „Banausen“, über Arbeiter ohne Sinn und Gefühl für die wahren Künste.

 

Als Fazit halte ich erleichtert fest: Ich darf, ja soll sogar regelmäßig dem Müßiggang frönen und einfach mal nichts tun. Ohne schlechtes Gewissen. Und ich bin dabei in guter Gesellschaft: Denn auch Gott ruhte von all seinen Werken, als er die Welt erschaffen hatte, und erwartet, dass alle Geschöpfe einen Ruhetag in der Woche einhalten sollen und dürfen.

Pfarrerin Dr. Anni Hentschel

Direktorin Rudolf-Alexander-Schröder-Haus
Evangelisches Bildungszentrum Würzburg