„Wort zum Wochenende“ von Dr. Josef Schuster, Main-Post vom 18. März 2022
Die jüdische Welt feiert in diesen Tagen das Purim-Fest. Es gehört zu den fröhlichsten im jüdischen Kalender und wird gerne als jüdischer Karneval bezeichnet. Doch in der jüdischen Gemeinschaft geht es uns derzeit nicht anders als den Narren am Rosenmontag: Fröhlich feiern während nur 2.000 Kilometer entfernt Bomben fallen, Menschen sterben oder fliehen müssen?
Schon die Corona-Auflagen hätten unbeschwerte Feiern in unbeschränkter Größe unmöglich gemacht. Jetzt ist uns die Lust am Feiern vergangen. Es wäre unpassend. Dennoch spricht vieles dafür, dem Purim-Fest gerade in diesem Jahr Aufmerksamkeit zu schenken. Denn sein religiöser Kern passt sehr gut in die jetzige Lage.
An Purim lesen wir in den Synagogen das biblische Buch Esther und gedenken der Rettung der Juden aus den Händen von Haman, eines hohen Beamten im alten Persien, der die Juden vernichten wollte. Die jüdische Königin Esther setzte sich beim persischen König für die Juden ein. Sie durften sich daraufhin verteidigen. Haman wurde getötet. An diesen Sieg erinnern wir uns an Purim.
Es geht bei dieser Geschichte also um Menschen, die in höchster Bedrängnis waren. Zugleich wird in dieser Bibel-Geschichte der Name G‘ttes nicht erwähnt. Bedeutet dies seine Abwesenheit? In Zeiten großen Leids ist dies in den monotheistischen Religionen die uralte Frage. Auch in der Ukraine werden gläubige Menschen fragen: Wo ist Er? Warum lässt Er dies zu?
Die Purim-Geschichte wird von Rabbinern so ausgelegt, dass G‘tt die Menschen auffordert zu handeln. Und dass er zeigt, dass er uns nicht verlassen hat. Der leider vor knapp zwei Jahren verstorbene Rabbiner Jonathan Sacks sel. A. schrieb über Purim: „Das ist das Buch Esther. Es stammt aus einer nahezu säkularisierten Welt, in der wir die Gegenwart Gottes in der Geschichte suchen und sie dort nicht finden.(..) Wo immer wir sind, verlangt Haschem (G’tt) zuweilen von uns, dass wir erkennen, warum er uns an diesen Platz gestellt hat, mit diesen Gaben, zu diesem Zeitpunkt, mit diesen Gefahren, an diesen Ort. ‚Haschgacha pratit‘ („himmlische Fürsorge“) ist unser tiefer Glaube, dass G‘tt uns nie im Stich lässt. Er hat uns an diesen Platz gestellt, um etwas zu tun.“
In Zeiten voller Leid ist dieser feste Glaube ein Fundament. Purim erinnert uns daran. Auch wenn wir in diesem Jahr auf fröhliche Kostümpartys verzichten.