Liebe Leserinnen, liebe Leser,
da knie ich als Jugendlicher im Startblock und bin fokussiert auf das Signal: „Auf die Plätze. Fertig. Los!“, um möglichst schnell zu starten und die 100 m Sprintstrecke erfolgreich zu absolvieren. Wie oft habe ich solche Starts im Training geübt und auf das Kommando „Auf die Plätze. Fertig. Los“ gewartet, denn meine Starts waren verbesserungsfähig… Jetzt in vorgerücktem Lebensalter hindert mich meine Arthrose im Knie schnell und weit zu laufen. Und da begegne ich auf dem Plakat zur diesjährigen Fastenaktion von Misereor unter dem Bild einer Frau aus Sri Lanka dem Leitwort „AUF DIE WÜRDE. FERTIG. LOS!“ Und ich merke gleich, da – wo es um „WÜRDE“ geht - kommt es nicht auf ein schnelles Durchstarten an, sondern darauf sich wachrütteln zu lassen, aufmerksam zu sein und am Ende durchzuhalten.
In unserem Grundgesetz ist die Würde aller Menschen gesichert. Und doch erleben Menschen auch in unserem Land, dass ihre Würde bedroht ist. Noch schlimmer ist die Situation von Tamilinnen und Tamilen in Sri Lanka. Ihre Vorfahren wurden vor über 200 Jahren aus Südindien dorthin gebracht, um auf den Plantagen zu arbeiten. Sie leben bis heute in schwierigen Verhältnissen. Meist sind es ihre Frauen, die Teeblätter für den beliebten Ceylon-Tee in den Plantagen pflücken. Für diese harte Arbeit erhalten die Frauen eine geringe Bezahlung. Und wenn eine Frau nach straffem Morgenprogramm für die Familie einmal zu spät zur Plantage kommt, kann sie wieder nachhause gehen und der eh geringe Lohn für diesen Tag ist weg. Oder wenn die Pflückerinnen am Abend merken, dass sie beim Abwiegen der gepflückten Teeblätter betrogen werden, können sie sich nicht wehren: Viele andere warten schon auf ihre Stelle.
An diesem Wochenende wird in den katholischen Gottesdiensten für das Hilfswerk Misereor gesammelt. Das Geld kommt auch den Tamilinnen und Tamilen in Sri Lanka zugute (neben vielen anderen Projekten weltweit). Der Misereor-Partner Caritas Sri Lanka SEDEC begleitet die Menschen vor Ort, hört ihre Anliegen, sucht mit ihnen nach Lösungen, um ihre Lage zu verbessern. Sie erfahren, wie sie sich in Selbsthilfegruppen organisieren können, welche Rechte sie haben, wie man einen Personalausweis oder eine Geburtsurkunde beantragt (ohne sie keine Anmeldung zur Schule, kein Anspruch auf staatliche Leistungen, nicht einmal auf eine kleine Rente!)
„AUF DIE WÜRDE. FERTIG.LOS“ Die Sicherung der Menschenwürde ist kein Unternehmen, das schnell zu erledigen ist. Das Bild vom Startschuss meint eher ein entschiedenes sich auf dieses Anliegen Einlassen. Die Würde des Menschen zu sichern ist eine Langzeit-, eine Daueraufgabe, ob hier oder weltweit.
Rainer Zöller, Pastoralreferent i.R., Waldbüttelbrunn