Lebenslinien
Ich muss gestehen, es gibt wenige Sendungen im Fernsehen, die ich regelmäßig anschaue. Eine Serie jedoch, auf die ich mich zu Wochenbeginn freue, sind die „Lebenslinien“ am Montagabend im Bayerischen Fernsehen. Da taucht der Zuschauer in spannende Biografien ein. Da werden mehr oder weniger prominente Zeitgenossen vorgestellt, die oft in entwaffnender Offenheit von ihrem Leben mit allen Höhen und Tiefen erzählen, ihre Lebenslinien eben.
Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Da ist zum einen eine behütete Kindheit oder eine schwierige Kinderstube. Die Sturm- und Drangzeit, ähnlich einer Karussellfahrt auf dem Jahrmarkt der Möglichkeiten. Dann irgendwann pendelt sich das Leben ein oder erfährt einen Knick und eine ganz andere Richtung ist angesagt. Da gilt es Tiefschläge zu verkraften und die Kunst, vom Gipfel des Glücks wieder in die Niederungen des Alltags zu gelangen. Den langen Atem zu behalten, Hoffnung und Durchhaltevermögen. Auf jeden Fall gibt es für mich nichts Spannenderes als dieses Leben, Lebenslinien eben.
Keiner von uns hat sich selbst in das Leben gesetzt und keiner hat es, bei aller Selbstbestimmtheit, gänzlich in der Hand. Aber macht dies nicht gerade den Reiz eines Lebens aus? Begegnungen einfach geschenkt zu bekommen, aus denen meine persönliche Lebensgeschichte wächst. Vor Herausforderungen gestellt zu werden, die es zu meistern gilt. Sich mit sich nicht zu wenig zufrieden zu geben, aber auch die Ziele des Lebens nicht zu hoch zu hängen. Nicht auf die großen Ereignisse zu warten, sondern Freude im Kleinen entdecken. Das Leben kosten und auskosten, ohne ständig dem Glück auf den Fersen zu sein. Dankbar jeden neu anbrechenden Tag beginnen und das Tagwerk entspannt loslassen.
Die Corona-Zeit hat uns gelehrt „auf Sicht zu fahren“. Nicht auf breiten Straßen mit hohem Tempo durch das Leben zu brausen, sondern einen Fuß vorsichtig vor den anderen zu setzen. Manche Erwartungen vielleicht zu überdenken, um dann den Kurs zu korrigieren. So wachsen Jahr um Jahr unsere Lebensringe, Lebenslinien eben. Nur gut, dass wir unseren Weg nicht alleine gehen. Und Gott uns dort, wo nur eine Spur zu sehen ist, getragen hat. Denn: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich“ (Psalm 139).
Margit Rotter
Leiterin des Dekanatsbüros Würzburg