Der neue Staat Kasachstan machte es den Russlanddeutschen schwer. Aber Alexander hatte damals 1993 in Karaganda seine Arbeit und war verheiratet. Hier war er zu Hause und kannte sich aus. In seiner Umgebung jedoch wanderten viele nach Deutschland aus. Irgendwann war auch in Alexanders Familie klar: Wir gehen. Es dauerte, bis schließlich die Papiere fertig waren. Flug, Ankunft, Friedland, Übergangswohnheim, rückblickend erscheint ihm das wie ein schlechter Traum. Das Heimweh war groß und gleichzeitig haben alle von ihm den starken Mann erwartet. Tief in sich drinnen jedoch fühlte er sich nicht stark. Immer war er angewiesen auf andere. Alles war fremd, das Heimweh groß.
Wie fing das Wunder an? Ganz langsam war die Umgebung vertrauter und die Wohnung wurde eingerichtet. Immer mehr deutsche Wörter schlichen sich in das Alltagsrussisch ein. Dann fand Alexander feste Arbeit und ein einheimischer Kollege erklärte das deutsche Leben, das zwischen den Zeilen. Toll war das erste Auto, das fuhr sich schon ganz anders als der alte Lada früher. Wie ein richtiges Wunder fühlte sich der erste Aufenthalt der Mutter im Krankenhaus an. Hier wurde gut für einen gesorgt, wenn man krank war.
Jetzt lernen die Kinder eigene Berufe. Sie sprechen perfekt Deutsch. Das treibt ihn an, auch besser zu werden. Manchmal spürt er noch eine leichte Sehnsucht in sich. Doch sie zerreißt ihm nicht mehr das Herz. Das Leben ist gut geworden.
Mit seiner Familie spricht Alexander russisch, die Kinder antworten auf Deutsch. Und seine geliebte Oma redet am liebsten im alten Dialekt der Wolga.
Er hat eine alte und eine neue Heimat. Beides gehört zu ihm. Das ist ihm wichtig und er hat gelernt, stolz darauf zu sein.
Am 29. Juni erinnert die Kirche an die Apostel Peter und Paul. Paulus lebte auch zwischen den Welten. Er war ein Jude aus Tarsus in Kleinasien und reiste über das Mittelmeer nach Europa, um das Evangelium weiter zu erzählen. Aus diesen Reisen zwischen den Kontinenten ist das Christentum entstanden – für mich als Christ ein großer Segen.
Wenn Menschen in sich die Welten verbinden, kann viel Segen wachsen. Das haben sie gemeinsam: Der Apostel Paulus, der russlanddeutsche Einwanderer Alexander und hoffentlich auch die Menschen, die in diesen Tagen über das Mittelmehr nach Europa kommen.
Max von Egidy ist Pfarrer in der Gethsemanekirche Würzburg Heuchelhof und Beauftragter für Aussiedler des Evangelischen Dekanats Würzburg.