Dünnhäutig
Wahrscheinlich haben Sie das auch schon erlebt: Sie sagen jemanden etwas Kritisches und schon bricht ein Unwetter über Sie herein, mit dem Sie überhaupt nicht rechnen konnten. Und Sie fragen sich danach, was ist da passiert? Was hat den anderen dermaßen in Rage gebracht, dass er, der sonst eher ausgeglichen wirkt, in diesem Fall nun völlig aus der Haut gefahren ist, Sie erst mal rund gemacht hat und schließlich hat stehen lassen.
Dies ist mir dieser Tage widerfahren, und ich wusste im ersten Augenblick überhaupt nicht damit umzugehen, vor allem weil ich den anderen gar nicht persönlich gemeint hatte und ihn schon gar nicht verletzen wollte. Ich schwankte in meinen Gefühlen hin und her, am liebsten hätte ich ihm eine scharfe Erwiderung gegeben. Dann aber sagte ich mir: was muss er wohl schon alles in dieser Hinsicht gehört haben, dass er so heftig auf mich reagiert. Und im weiteren Überlegen wurde mir klar, dass er mich gar nicht persönlich gemeint haben konnte. Wahrscheinlich wurde er in dieser Sache schon mehrfach angegriffen, und ich brachte mit meiner Kritik das Fass zum Überlaufen, bohrte gleichsam in einer offenen Wunde.
Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr beruhigte ich mich wieder und umso klarer konnte ich selbst denken und eine Strategie entwickeln, wie ich für mich persönlich und in Bezug auf den Betroffenen vorgehen könnte.
Ich versuchte, ihn zu erreichen. Es war wohl gut, dass ich keine Telefonnummer fand und ihm so mein Gesprächsangebot schriftlich zukommen lassen konnte. Die Erfahrung der misslungenen Begegnung war einfach noch zu frisch. Da hätte sowohl bei mir als auch beim anderen leicht ein falscher Unterton gehört werden können, ein Wort wieder ein anderes ergeben können.
Was nun daraus wird, muss ich abwarten. Mit ein wenig Abstand hoffe ich, dass ein Gespräch möglich wird und vielleicht Verständnis wachsen kann für das, was geschehen ist.
So leicht hat man ein Problem am Hals, mit dem man nicht gerechnet hatte. Und wie schwer ist es, dieses Problem wieder aus der Welt zu schaffen, damit es einen am Ende nicht mehr behindert, in Freiheit aufeinander zuzugehen.
Gut, wenn wir nicht gar zu schnell reagieren, wenn jemand uns kritisiert. Gut, wenn es uns gelingt, wirklich ein paar Mal tief durchzuatmen und selbst erst wieder zu klaren Gedanken zu kommen. Gut, wenn wir immer wieder Wege zueinander suchen und das in allen auch noch so unterschiedlichen Beziehungen.
Ich wünsche uns allen dabei gute Erfahrungen - mit uns selbst und miteinander.
Werner Vollmuth
Pfarrer von Heiligkreuz und St. Elisabeth