Philotimo
Die Diskussion in der Eckkneipe wurde immer lauter und heftiger. Die beiden Männer am Tresen konnten sich wohl nicht einig darüber werden, wie die Politiker ihrer Meinung nach in der griechischen Finanzkrise handeln sollten. Da stellt der deutsche Wirt plötzlich zwei Ouzos vor die beiden. Die lehnen ab, da sie diese nicht bestellt hätten. Der Wirt widerspricht und zeigt auf einen Mann an einem Tisch am Fenster, dieser habe die Runde spendiert. Ungläubiges Erstaunen, irritierte Blicke, Zuwinken, Zuprosten. Man kommt ins Gespräch.
Der Mann am Fenster, der die Ouzos ausgegeben hat, war Grieche. Er hatte die Diskussion aus der Ferne gehört, ohne sich einzumischen, ohne zu verbessern und zu korrigieren. Dabei hatte er als kleiner Bub miterleben müssen, wie die deutschen Besatzungssoldaten in seinem Dorf seinen Vater abgeholt haben, hatte nicht vergessen, wie er als junger Gastarbeiter in Baracken lebte und gesundheitsgefährdend arbeiten mußte, und weiß, wie sein kleines Eigenheim in seiner Heimat mit Sondersteuern belegt wird und seine Mutter mit ihrer geschrumpften Kleinrente zwar das Glück hat, ein wenig vom eigenen Garten leben zu können, aber sich wichtige Medikamente nicht leisten kann.
Wer macht sich darüber Gedanken, ob die polemischen Schlagzeilen, die verzerrenden Karikaturen, die hingeworfenen Unterstellungen einen Griechen vielleicht beleidigen und verletzen, so entfernt von der Wahrheit diese sind. Doch darum ging es an diesem Abend gar nicht. Der griechische Nachbar wollte nicht als Aufklärer auftreten seine Meinung durchsetzen, er wollte nichts besser wissen und nichts korrigieren. Er zeigte einfach eine souveräne und freundliche Grundhaltung. Es ging ihm um das "wie" des Gesprächs, die Atmosphäre, den Stil.
Auf Griechisch heißt diese Haltung "philotimo". Dieser Begriff beschreibt einen Menschen, der Charakter, Stolz, Ehrgefühl, aber auch Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Anstand hat, der durchaus über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügt, der zuverlässig ist, dessen Wort unbedingt gilt, der hochherzig ist. In der Jugendsprache würde solch ein Mensch vielleicht als "echt" bezeichnet werden.
Philotimo kann man durchaus umschreiben, aber kaum mit einem einzigen Begriff treffend übersetzten. Deshalb ging es in Amerika einfach als Fremdwort in die Alltagssprache ein. Vielleicht wäre das Wort auch für das Deutsche eine Bereicherung. Noch wichtiger aber wäre es, im Leben diese Grundhaltung des Philotimo zu praktizieren. Der jüngste Heilige der Griechischen Kirche, der Athosmönch Paisios, der am 12. Juli zum ersten Mal gefeiert wird, sieht im Philotimo die treffende Skizzierung eines Menschen, wie er sein sollte.
Martins Petzolt, Griechisch-Orthodoxer Pfarrer von Würzburg und Unterfranken