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Andersorte

Friedhof, Krankenhaus, die Kirche auf dem Marktplatz - das alles sind Orte, an denen mir anders zumute wird. So Direktor Dr. Rainer Dvorak.

Andersorte

Als Kind war ich oft an dem kleinen Bach mit den Weiden, der unser Wohnviertel von Wiesen und Feldern trennte. Das war mein liebster Ort. Er zog mich magisch an. Wann immer ich unruhig war, Streit hatte oder für mich sein wollte, radelte ich hin. Bei seinem immer gleichen Plätschern kam ich zur Ruhe und konnte mich sammeln, obwohl immer alles im Fluss war. Und unter den Weidenruten fand ich den Schutz, den ich brauchte. Ich wusste, was mich dort erwartete; das gab mir Sicherheit. Immer ging ich reicher weg, als ich gekommen war.

Ich finde es faszinierend, dass von bestimmten Orten eine besondere Wirkung ausgeht. Nicht immer sind es unsere Lieblingsorte, die auf uns beruhigend oder anregend wirken. Es gibt auch Orte, an denen mir plötzlich ganz anders wird. Der Friedhof beispielsweise ist so ein Ort. Hier liegen die Toten. Sie zeigen mir, dass es mit dem Leben ganz schnell zu Ende sein kann und irgendwann auch mein Leben definitiv zu Ende ist. Auf dem Friedhof kann ich der Frage nach meinem Sterben nicht ausweichen. Der Tod drängt sich mir auf und doch kann ich ihm noch entgegenlachen und sagen: Wie gut, dass ich jetzt lebe!

Es gibt Orte, die sind einfach anders. Alles, was im Alltag für uns unverzichtbar ist, zählt dort nicht mehr. Die Spielregeln des Lebens sind dort auf den Kopf gestellt. Wer todkrank auf der Intensivstation liegt, für den zählt nur noch, dass er wieder gesund wird. Dass er jetzt, wenn die ersten Minusgrade drohen, noch immer keine Autoreifen gewechselt hat, ist erst einmal egal. An solchen Orten entscheidet sich das Leben.

Für mich ist auch die Marienkapelle auf dem Würzburger Marktplatz solch ein Ort. Besonders an Werktagen. Aus einem oft viel zu rasanten, lauten Leben tauche ich hier in eine andere Welt ein. Der Lärm ist gedämpft, die wenigen Menschen bewegen sich anders. Der Kirchenraum umschließt mich wie eine schützende Hülle und die Farben der Glasfenster schenken mir eine Ahnung von einer Welt, in der mir noch ganz anderes möglich ist als das Leben, das sich außerhalb der Kirchenmauern abspielt. Mitten auf dem Markt sind hier die erbarmungslosen Regeln des Marktes und der Ökonomie, der Zwang des ständigen Gebenmüssens außer Kraft gesetzt.

Friedhof, Krankenhaus, die Kirche auf dem Marktplatz oder einfach nur mein kleiner Bach aus Kindertagen – das alles sind Orte, an denen mir anders zumute wird. Und die mich ahnen lassen, wie tief die Welt ist. Das macht mein Leben reich.

Dr. Rainer Dvorak

Direktor der Domschule Würzburg